Unser Dorf

In jahrelanger intensiver Forschungsarbeit hat Dr. Thomas Kehle jede Menge Neuigkeiten in zahlreichen Archiven, auch im Marktoberdorfer Stadtarchiv, entdeckt, diese mit Bekanntem verbunden und einen Bruchteil davon in einem gut einstündigen Vortrag zusammengefasst. Marktoberdorfs Bürgermeister Dr. Wolfgang Hell sprach anerkennend von einer „Liebeserklärung an Sulzschneid“. Musikalisch begleitet wurde die Präsentation vom Sulzschneider Zithertrio.

Außer auf umfangreiche eigene Recherchen griff Kehle auf das Archiv von Manfred Jocham, der sich mit der Geschichte der einzelnen Höfe und deren Familien beschäftigt, auf die von Gottfried Settele zusammengestellte Sammlung von Zeitungsartikeln und auf die Hilfe von Stadtarchivarin Josefine Berger zurück. Alles wichtige Grundlagen, wie er sagte.

Kehles Vortrag sei hier zumindest in kurzen Auszügen wiedergegeben.

Bereits das Eingrenzen des Gründungsdatums von Sulzschneid habe sich als zeitaufwendig erwiesen, sagte Kehle. Die bisherige Annahme, diese sei 1116 erfolgt, lasse sich nicht halten. Auch 1130 als Gründungsdatum stand im Raum. Das Schenkungsbuch, in dem der Name Sulzschneid erstmals auftaucht, ist nicht mehr im Original, sondern nur noch als Abschrift aus dem Jahr 1483 erhalten. Auf dieser Seite ist am Rand und nicht im Text die Zahl 1116 zu sehen. Doch dürfte sich diese auf einen anderen Zusammenhang – ein Jahr oder ein Inventarverzeichnis – beziehen. Kehle ging also auf Spurensuche im Kloster Rottenbuch und im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München der Frage nach, in welchem Zeitraum die genannten Personen gelebt haben und stellte das in den geschichtlichen Kontext. Das Ganze – die Gründung des Klosters Rottenbuch und von Sulzschneid – fand im Umkreis der Welfen statt. Das wiederum ergab die größte Überschneidung im Jahr 1120.

Übersetzung aus dem lateinischen Original durch Eva Kehle: „Es ist ausgezeichnet worden sowohl für jetzt als auch für die Zukunft, dass ein gewisser Adliger Namen Chunrat sein Grundstück, das er besitzt, an diesem Ort, der Opoltesried genannt wird, für das Heil seiner eigenen und der elterlichen Seele den Reliquien der Hl. Maria in Raytenpuch übergab. Die Zeugen der Sache sind Heinrich de Brugge, ebenso Heinrich de Sohn, Adelbert de Habretzhoven, Wilhalm de Sultzsnaite. Im gleichen Ort übergab auch ein gewisser Mensch namens Büro sein Grundstück den oben genannten Reliquien. Die Zeugen dieser Sache sind Luitpold de Warthusen, Burchard de Hassloch, Mangelt de Sorheim, Otto de Understorf u. viele andere.“ (c) Andreas Filke

Ebenso befasse sich Kehle damit, woher der Name Sulzschneid kommt. Eine Annahme macht den Namen am Begriff Sulz für sumpfiges Gebiet und Schneid für Schneiden fest: ein durch Sumpfwald gehauener Weg. Die andere und für Kehle wahrscheinlichere Version leitet Sulz von Salz, von einer Salzlecke für das Wild, ab. Das würde auch erklären, warum der Bereich Sulzschneid lange das Hauptjagdrevier der Fürstbischöfe von Augsburg war. Aufgrund seines Waldreichtums war Sulzschneid mit Wild gesegnet. Auch mit Rotwild, das sich dort bis in die 1980er Jahre aufhielt, dann aber – trotz Intervenierens des damaligen bayerischen Ministerpräsident Franz Josef Strauß – rigoros bejagt wurde.

Er zeigte zudem die Entwicklung des Ortes unter den Hoheneggern auf, einem Rittergeschlecht, das über Sulzschneid 300 Jahre lang herrschte. Aus dieser Zeit stammt auch de älteste Urkunde über Sulzschneid, die im Marktoberdorfer Stadtarchiv aufbewahrt wird. Sie stammt aus dem Jahr 1459 und befasst sich mit einem Grenzstreit zwischen Sulzschneid und Oberdorf. In der Herrschaftszeit der Hohenegger wurde 1530 die Filialkirche zu einer eigenen Pfarrei erhoben, der heilige Pankratius, Patron der Kirche, ist auch Patron der Ritter. 1572 wurde in Sulzschneid ein Schloss erbaut, ein wohl imposantes Gebäude. Eine Kaufbeuren Landtafel aus dem Jahr 1580 zeigt es. Weil die Hohenegger keine männlichen Nachfahren und auch kein Geld mehr hatten, wurde Sulzschneid versteigert. Es fiel an das Hochstift Augsburg.

In Sulzschneid gab es auch ein Hochgericht, an dem Todesurteile gefällt werden konnten und auch wurden. 1359 wurde es verliehen und hatte bis 1800 Bestand.

Auch Sulzschneid hat unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges gelitten. Mehr als die Hälfte der Hofstätten waren um 1650 nach Krieg und Pest verwaist. Tiroler siedelten sich in der Zeit danach an.

Kehle ging ebenso auf die Geschichte der Kirche in Sulzschneid ein, die wiederum in erheblichem Maß die Bildung der Bevölkerung gefördert und dadurch einige bekannte Persönlichkeiten hervorgebracht hat.

1808 wurde in Sulzschneid die Leibeigenschaft aufgehoben, 1868 die Gewerbefreiheit geschaffen und um 1880 die ersten Käsküchen gegründet. So gab es im 19. Jahrhundert im Dorf unter anderem Hebammen, Wagner, Schäffler, Schreiner, Metzger, Bäcker, Schuhmacher, Rechenmacher und einiges mehr. 1995 wurde die letzte Käsküche geschlossen.

(c) Andreas Filke

Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Einwohnerzahl von Sulzschneid um 50 Prozent. In wohl jedem Haus waren Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht. Viele zogen bald weiter, einige blieben. 1972 erfolgte die Eingemeindung, seitdem gehört Sulzschneid zur Stadt Marktoberdorf.

Kurz ging Kehle in seinem Vortrag auch auf die Bedeutung der Wälder und vor allem Moore rund um Sulzschneid ein, die sogar überregionale Bedeutung besitzen. Von ihrem Wert für die Natur her sind sie einer der 30 wichtigsten Punkte in Deutschland und darüber hinaus sogar für Europa so bedeutsam, dass sie unter besonderem Schutz stehen.

Außerdem befasste sich Kehle mit der grundsätzlichen Frage, was denn überhaupt ein Dorf ausmacht. Es waren nicht einzelne Punkte wie der Gemeinsinn, der familiäre Zusammenhalt oder die Vielfältigkeit der Vereine. Es sei von jedem etwas, was Sulzschneid so lebenswert mache, fasste er zusammen.

Zum Abschluss gab es noch einiges zu lachen. Denn ein verschollen geglaubter Film war wieder aufgetaucht. Der sinnige Titel „Einsatz in den Betten“ mit Theo „Trini“ Kojak als Kommissar Konjak. Entzückend, Baby.

(c) Andreas Filke

Ob er dem Wunsch des Bürgermeisters entspricht und sein Werk als Buch herausgibt, konnte Kehle an diesem Abend noch nicht beantworten. Sicher ist aber, dass die Sulzschneider das 900-jährige Bestehen ihres Dorfes groß feiern wollen.

So viel zur Geschichte. Aus touristischer Sicht ist folgendes zu sagen:

Umgeben von reichlich Wald und noch mehr Wiesen liegt Sulzschneid abseits der Hauptverkehrsstraßen und trotzdem gut erreichbar  im Einklang mit der Natur mitten im Voralpengebiet des Allgäus. Von  fast 800 Meter Höhe aus bietet sich am Südrand des Dorfes ein herrlicher Blick auf die Alpenkette. Aufgrund seiner guten Lage ist Sulzschneid ein idealer Ausgangspunkt für Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung. Königsschlösser, Lechtal in Tirol, Tannheimer Tal, München, Bodensee oder Legoland – Ziele gibt es reichlich. Selbst die  rund 1700 Jahre alten Fundamente eines römischen Badehauses befinden sich fast in unmittelbarer Nähe zum Dorf. Das knapp 500 Einwohner zählende Sulzschneid ist geprägt von der Landwirtschaft. Rund zwei Dutzend Bauernhöfe werden hier bewirtschaftet. Ein reges Vereinsleben sorgt für viel Unterhaltung und Kurzweil am Abend und am Wochenende. 1972 ist Sulzschneid im Zuge der Gemeindegebietsreform ein Stadtteil der Ostallgäuer Kreisstadt Marktoberdorf geworden. Unser Dorf ist im Sommer wie im Winter ein beliebtes Ziel für Urlauber, gerade für Familien (mehr). (af)

Der Bericht in der Allgäuer Zeitung vom 24. Oktober 2018 findet sich hier

Sulzschneid, das Dorf der Vielfalt